Der Jemen am Scheideweg

Am 5. Dezember 2013 veranstaltete die Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen (DGVN), Landesverband Bayern, den Vortrag „Das arabische Erwachen und seine Folgen für den Jemen – eine Zwischenbilanz“.

Der Referent Dr. Said al-Dailami ist gebürtiger Jemenite, aber in Deutschland aufgewachsen und lehrt als Politik- und Islamwissenschaftler an der Universität der Bundeswehr in München. Seine alte Heimat hatte er kurz zuvor besucht und konnte daher mit aktuellen Eindrücken aufwarten.

Zum Jahresanfang 2011 wurde der Jemen als einer der ersten arabischen Staaten von der Protestbewegung für Freiheit und wirtschaftliche Besserstellung ergriffen. Eine führende Aktivisitin, Tawakkol Karman, erhielt 2011 für ihr mutiges Engagement den Friedensnobelpreis. Drei Jahre danach ist die Transformation noch längst nicht abgeschlossen. Denn gerade im Jemen stehen viele Hindernisse entgegen. Alteingesessene Interessen von Stämmen und Eliten werden hartnäckig verteidigt. Niemals in der Geschichte konnte die Regierung ein landesweites Gewaltmonopol durchsetzen. Machtausübung war stets nur durch geschickte Kooptierung von Interessengruppen möglich. Proporzdenken steht damit im Vordergrund, nicht das Mehrheitsprinzip. Die patriarchalisch geprägte Gesellschaft akzeptiert zudem starke Führer - überhaupt werden Staat und Politik von Personen geprägt, nicht von Institutionen. Auch ist es kulturell akzeptiert, dass Machtinteressen mit Gewalt durchgesetzt werden.

Erschwerend kommt hinzu, dass der Jemen das Armenhaus der arabischen Welt ist. Die wenigen Einnahmen, z.B. aus dem Fischfang oder aus Ölfeldern begrenzter Kapazität, sind ungleich verteilt. Das starke Bevölkerungswachstum tut ein Übriges: Familien haben im Durchschnitt 4,5 Kinder. Ein politischer Konsens kann im Jemen schnell entlang ethnischer, religiöser und politischer Bruchlinien aufbrechen. So prägen Stammesrivalitäten das Land. In religiöser Hinsicht ist der Jemen vom sunnitisch-schiitischen Gegensatz geprät. Die Sunniten (zwei Drittel) stehen heute unter wachsendem Einfluss des Nachbarlandes Saudi-Arabien, das eine dem Jemen fremde, rigide Richtung des Islam propagiert, den Wahabismus. Dessen politische Repräsentantin ist die mächtige Islah-Partei - die wichtigste Gegenspielerin des jahrzehntelangen Staatspräsidenten Ali Abdullah Salih. Im Gegenzug sucht die Islamische Republik Iran die schiitischen Huthis zu unterstützen und zu instrumentalisieren. Sie dominieren den Nordwesten des Landes. Zunehmend kommt es dort zu gewalttätigen Konfrontationen zwischen Sunniten und Schiiten.

Eine militante Version des Wahabismus vertritt die Terrorgruppe al-Qaida, die sich in armen, entlegenenen und wenig kontrollierten Regionen eingenistet hat. Immer wieder macht sie auch in der Hauptstadt Sana'a mit brutalen Anschlägen von sich reden. Für Touristen ist der Jemen mit seiner Jahrtausende alten Kultur daher leider inzwischen tabu. Im Südjemen haben Sezessionisten Zulauf. Denn die vom ärmeren Norden betriebene Vereinigung (1990) ist dort bis heute unbeliebt. Damals prallten zwei Kulturen aufeinander: Der konservative, religiöse Norden und der säkulare, sozialistische Süden. Dr. Al-Dailami zog ein vorsichtig optimistisches Resümee. Präsident Salih sei auf internationalen Druck endlich im November 2001 zurückgetreten, ziehe freilich im Hintergrund weiterhin Fäden. Trotz vieler Rückschläge habe sich die vom VN-Sondergesandten verdienstvoll unterstützte Nationalkonferenz kürzlich auf einen Kompromiss für eine neue Verfassung geeinigt. Das Land solle eine aus sechs Regionen bestehende, föderale Ordnung erhalten. Dieser Schritt könne eine Chance sein, aber auch zur territorialen Zersplitterung führen. Den Einfluss externer Mächte sah Dr. Al-Dailami als problematisch an. So seien die USA politisch und militärisch präsent, doch ginge es ihnen vornehmlich um den Kampf gegen den Terrorismus und die Sicherung internationaler Seewege. Kontraproduktiv agiere Saudi-Arabien, das radikale Gruppen im Jemen unterstütze und kein Interesse habe, die Etablierung einer Demokratie an seiner Südflanke zu fördern.