Der West-Sahara-Konflikt aus völkerrechtlicher Sicht Hintergründe – gegenwärtiger Stand – Lösungsmöglichkeiten

Montag, 2. März 2009, 19 Uhr: BZ Internationales Begegnungszentrum der Wissenschaft München (Amalienstraße 38, 80799 München, Seminarraum)

Vortrag mit Nadjet Hamdi, Repräsentantin der Frente POLISARIO und Professor Dr. Thomas Bruha, Ordinarius für Völker- und Europarecht an der Universität Hamburg

Nadjet Hamdi, Repräsentantin der Frente POLISARIO

35 Jahre lang wartet der Konflikt um die West-Sahara bereits auf eine Lösung. Sowohl das Königreich Marokko wie auch die Befreiungsbewegung Frente POLISARIO beanspruchen die frühere spanische Kolonie. Die 1991 entsandte UNO-Mission MINURSO konnte bis heute kein Referendum unter der Bevölkerung durchführen. Im Nachklang zur Studienreise des DGVN-Landesverbandes Bayern zur MINURSO im Oktober 2008 beschäftigte sich eine Abendveranstaltung mit der Problematik aus völkerrechtlicher Sicht und diskutierte Lösungsmöglichkeiten.

 

Professor Dr. Thomas Bruha

Professor Dr. Thomas Bruha (Ordinarius für Völker- und Europarecht an der Universität Hamburg, gleichzeitig Bundesvorsitzender der DGVN) hob die Bedeutung von Dekolonisationspflicht und Selbstbestimmungsrecht der Völker hervor, wie im Gutachten des Internationalen Haager Gerichtshofs zur West-Sahara von 1975 explizit festgestellt. Demnach müsse die Bevölkerung frei entscheiden, und die Option der Unabhängigkeit dürfe dabei nicht ausgeschlossen werden. Die seitherige marokkanische Verwaltung sei völkerrechtlich als „Besatzung“ zu werten, mit allen damit verbundenen Pflichten wie der Unterbindung externer Besiedlung. Für eine Anerkennung der von der Frente POLISARIO ausgerufenen „Demokratischen Arabischen Republik Sahara“ (DARS) erkennt er im gegenwärtigen Völkerrecht allerdings noch keine hinreichende Grundlage.

Lösungsmöglichkeiten sind nach Bruha fortdauernde bilaterale Gespräche, um einen Rückfall in den Krieg zu vermeiden, und Kompromissbereitschaft auf beiden Seiten – in der Frage der Stimmberechtigten auf Seite der Frente POLISARIO, in der Frage der Zulassung der Unabhängigkeitsoption auf Seite Marokkos. Der Referent brachte ein entschiedeneres Auftreten des Sicherheitsrates ins Spiel. Rechtlich wären unter bestimmten Voraussetzungen sogar Maßnahmen nach Kapitel VII möglich, auch wenn dies politisch wohl nur schwierig zu erreichen sei. Bruha empfahl die Abhaltung eines partizipatorischen „Verfassungskonvents“ unter Einbeziehung aller in der West-Sahara lebenden Menschen, der im Vorfeld eines Referendums auf beiden Seiten Ängste durch entsprechende Regelungen ausräumen würde.

 

Vor dem UN-Hauptquartier in Laayoune

Beide Konfliktparteien waren zu Statements eingeladen. Die Botschaft des Königreiches Marokko sagte leider unter Angabe von Terminschwierigkeiten ab. Die marokkanische Position, die eine vorkoloniale marokkanische Souveränität über das Territorium postuliert und sich daneben auf realpolitische Argumente stützt, wurde jedoch vom Veranstalter überblicksweise präsentiert. Nadjet Hamdi, Repräsentantin der Frente POLISARIO in Deutschland, signalisierte Kompromissbereitschaft wie z.B. die Zulassung der Autonomie als dritte Option in einem Referendum sowie die Abgabe politischer und wirtschaftlicher Garantien gegenüber Marokko für den Fall eines Votums zugunsten der Unabhängigkeit. Doch beharrte sie auf der vollen Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts inklusive der Option staatlicher Souveränität – ein Ziel, das ihrer Ansicht nach die übergroße Mehrheit der Saharuis verfolgen würde.

 

Es folgte eine kontroverse Diskussion mit den rund 50 Zuhörern, darunter auch Marokkaner und Saharuis. Zahlreiche Beiträge sahen in der von Marokko angebotenen „weitreichenden Autonomie“ die bestmögliche Lösung. Auch wurden die realpolitischen Kräfteverhältnisse hervorgehoben, die eine Änderung des Status quo unwahrscheinlich machten. Professor Bruha begrüßte grundsätzlich die Aufnahme der Kompromisslösung Autonomie in die Agenda. Doch gebiete das Völkerrecht die volle Umsetzung des Selbstbestimmungsrechtes unter Einbeziehung aller Optionen. Beim anschließenden Empfang setzte sich der lebhafte Meinungsaustausch fort.